Freistellungsbescheinigung für Handwerksbetriebe: Der komplette Leitfaden
Das Wichtigste in Kürze:
- Freistellungsbescheinigung befreit von 15% Bauabzugsteuer
- Beantragung beim zuständigen Finanzamt (Formular USt 1 TH)
- Gültigkeit: max. 3 Jahre, oft kürzer
- Handwerksbetriebe MÜSSEN Freistellungen von Nachunternehmern prüfen
- Haftung bei fehlenden oder abgelaufenen Freistellungen
Was ist eine Freistellungsbescheinigung?
Die Freistellungsbescheinigung nach §48b Einkommensteuergesetz (EStG) ist ein Dokument, das Bauunternehmen und Handwerksbetrieben bescheinigt, dass sie von der Pflicht befreit sind, 15% der Zahlungen an Nachunternehmer als Bauabzugsteuer einzubehalten.
Gesetzliche Grundlage:
Seit 2002 gilt: Wer Bauleistungen von Nachunternehmern bezieht, muss grundsätzlich 15% der Zahlungssumme einbehalten und an das Finanzamt abführen – es sei denn, der Nachunternehmer legt eine gültige Freistellungsbescheinigung vor.
⚠️ Wichtig für Handwerksbetriebe
Auch Handwerksbetriebe benötigen eine Freistellungsbescheinigung, wenn sie als Nachunternehmer für andere Bauunternehmen tätig sind. Ohne diese Bescheinigung wird Ihnen 15% der Zahlung einbehalten!
Für wen ist die Freistellungsbescheinigung relevant?
Sie BRAUCHEN eine Freistellungsbescheinigung, wenn:
- Sie als Nachunternehmer für andere Bauunternehmen/Handwerksbetriebe arbeiten
- Sie Bauleistungen erbringen (Neubau, Sanierung, Instandhaltung, Modernisierung)
- Ihr Auftraggeber nicht der Endkunde ist (sondern ein anderes Unternehmen)
Sie MÜSSEN Freistellungen PRÜFEN, wenn:
- Sie selbst Nachunternehmer beauftragen (z.B. als Generalunternehmer oder Hauptauftragnehmer)
- Sie Bauleistungen von anderen Handwerkern beziehen
- Sie als Bauträger oder Immobilienverwalter tätig sind
Typische Beispiele aus dem Handwerk:
Beispiel 1: Malerbetrieb als Nachunternehmer
Ein Generalunternehmer beauftragt Sie als Malerbetrieb mit Malerarbeiten an einem Neubau.
→ Sie benötigen eine Freistellungsbescheinigung, sonst behält der GU 15% ein.
Beispiel 2: Elektriker beauftragt Trockenbauer
Sie als Elektrobetrieb beauftragen einen Trockenbauer, um Vorarbeiten zu erledigen.
→ Sie müssen die Freistellungsbescheinigung des Trockenbauers prüfen, sonst haften Sie.
Beispiel 3: Dachdecker verleiht Gerüst
Sie vermieten als Dachdecker ein Gerüst an einen anderen Handwerksbetrieb.
→ Gerüstverleih ist KEINE Bauleistung, daher keine Freistellung nötig. (Aber: Gerüstaufbau IST eine Bauleistung!)
Schritt-für-Schritt: Freistellungsbescheinigung beantragen
Schritt 1: Formular herunterladen
Laden Sie das Formular "USt 1 TH" (Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung) von der Website Ihres Finanzamts herunter.
→ Oder nutzen Sie ELSTER (elektronische Steuererklärung) für digitale Beantragung
Schritt 2: Formular ausfüllen
Folgende Angaben sind erforderlich:
- • Firma, Rechtsform, Anschrift
- • Steuernummer / Steuer-ID
- • Tätigkeitsbeschreibung (z.B. "Malerarbeiten", "Elektroinstallationen")
- • Voraussichtlicher Jahresumsatz
- • Bankverbindung
- • Unterschrift des Geschäftsführers / Inhabers
Schritt 3: Unterlagen beifügen
Je nach Finanzamt werden zusätzlich benötigt:
- • Gewerbeanmeldung (Kopie)
- • Handelsregisterauszug (bei GmbH/UG)
- • Nachweis über Kranken- und Rentenversicherung
- • Letzte Steuerbescheide (ESt/KSt/USt)
- • Unbedenklichkeitsbescheinigung der Berufsgenossenschaft
Schritt 4: Antrag einreichen
Senden Sie den Antrag an Ihr zuständiges Finanzamt (Betriebsstätte). Bearbeitungszeit: 2-6 Wochen.
Schritt 5: Bescheinigung erhalten & weitergeben
Nach Prüfung erhalten Sie die Freistellungsbescheinigung per Post. Geben Sie Kopien an alle Auftraggeber weiter, bei denen Sie als Nachunternehmer tätig sind.
Pflichten bei Beauftragung von Nachunternehmern
Wenn Sie selbst Nachunternehmer beauftragen (z.B. als Generalunternehmer oder bei Subvergabe), haften Sie persönlich, falls die Freistellungsbescheinigung fehlt oder abgelaufen ist.
Ihre Pflichten als Auftraggeber:
- 1. Freistellung VOR Auftragsvergabe anfordern
Fragen Sie BEVOR Sie einen Nachunternehmer beauftragen nach der Freistellungsbescheinigung. Liegt keine vor: 15% einbehalten! - 2. Gültigkeit prüfen
Achten Sie auf das Ablaufdatum! Eine abgelaufene Freistellung ist wertlos. - 3. Kopie ablegen
Bewahren Sie eine Kopie der Freistellungsbescheinigung mindestens 10 Jahre auf (Aufbewahrungspflicht nach AO). - 4. Ablaufdatum überwachen
Läuft die Freistellung während der Zusammenarbeit ab, müssen Sie rechtzeitig eine neue Bescheinigung anfordern – oder ab Ablauf 15% einbehalten. - 5. Bei fehlender Freistellung: Bauabzugsteuer abführen
Bis zum 10. des Folgemonats müssen Sie die einbehaltenen 15% an Ihr Finanzamt überweisen (Formular "Anmeldung der Bauabzugsteuer").
Haftungsrisiko:
Wenn Sie trotz fehlender Freistellungsbescheinigung die vollen 100% an den Nachunternehmer zahlen und keine Bauabzugsteuer abführen, haften Sie gegenüber dem Finanzamt für die 15%. Das kann bei großen Aufträgen schnell 5-stellige Beträge bedeuten!
Handwerkskammer-Checkliste: So vermeiden Sie Fehler
✓ Checkliste für Handwerksbetriebe
Digitale Verwaltung: Wie moderne Handwerksbetriebe arbeiten
Viele Handwerksbetriebe verwalten Freistellungen noch manuell in Excel oder Papier-Ordnern. Das führt zu Problemen:
- Kein automatisches Erinnerungs-System → Freistellungen laufen unbemerkt ab
- Suche nach Dokumenten dauert lange (besonders bei Betriebsprüfung)
- Fehleranfällig (Tippfehler, vergessene Wiedervorlagen)
- Keine Übersicht, welche Freistellungen bald ablaufen
Moderne Lösung: Digitale Freistellungsverwaltung
Vorteile digitaler Tools:
- ✓ Automatische Erinnerungen 60/30/14 Tage vor Ablauf
- ✓ OCR-Erkennung (System liest Daten aus PDF automatisch)
- ✓ Ampel-System (Grün/Gelb/Rot für schnellen Überblick)
- ✓ Zentrale Ablage (kein Ordner-Chaos mehr)
- ✓ Prüfungssicher (Audit-Trail für Betriebsprüfungen)
Empfehlung der Handwerkskammer:
Ab 10+ Nachunternehmern lohnt sich eine digitale Lösung. Zeitersparnis: 80% (15 Min. manuell → 3 Min. digital pro Freistellung).
Häufige Fragen (FAQ)
Wie lange ist eine Freistellungsbescheinigung gültig?
Maximal 3 Jahre. In der Praxis oft kürzer (6-18 Monate), abhängig von der Bonität und Zuverlässigkeit des Unternehmens. Das Finanzamt entscheidet individuell.
Was passiert, wenn ich als Nachunternehmer keine Freistellung habe?
Ihr Auftraggeber muss 15% der Zahlung einbehalten und an das Finanzamt abführen. Sie erhalten also nur 85% der vereinbarten Summe. Die 15% können Sie später mit Ihrer Steuerschuld verrechnen – aber das dauert und kostet Liquidität.
Kann ich auch nachträglich eine Freistellungsbescheinigung beantragen?
Ja, aber die Freistellung gilt erst ab Ausstellungsdatum, NICHT rückwirkend. Für bereits abgerechnete Aufträge ohne Freistellung wird die Bauabzugsteuer fällig.
Gilt eine Freistellungsbescheinigung bundesweit?
Ja. Eine vom Finanzamt München ausgestellte Freistellung gilt auch für Aufträge in Hamburg.
Muss ich die Freistellung bei jedem Auftrag neu vorlegen?
Nein. Solange die Freistellung gültig ist, reicht es, sie einmal beim Auftraggeber zu hinterlegen. Bei neuen Aufträgen mit dem gleichen Auftraggeber ist keine erneute Vorlage nötig (außer die alte ist abgelaufen).
Unterstützung für Handwerksbetriebe
Der Freistellungs-Manager hilft Handwerksbetrieben, Freistellungsbescheinigungen zentral zu verwalten und automatisch zu überwachen.
Fazit
Die Freistellungsbescheinigung ist für Handwerksbetriebe essentiell – sowohl wenn Sie selbst als Nachunternehmer tätig sind, als auch wenn Sie Nachunternehmer beauftragen.
Wichtigste Punkte:
- Beantragen Sie frühzeitig (Bearbeitungszeit: 2-6 Wochen)
- Überwachen Sie Ablaufdaten proaktiv
- Prüfen Sie ALLE Freistellungen Ihrer Nachunternehmer
- Bewahren Sie Kopien 10 Jahre auf
- Nutzen Sie digitale Tools ab 10+ Nachunternehmern
Bei Fragen wenden Sie sich an Ihre Handwerkskammer oder Ihren Steuerberater.
